Der den Sturm stillt [10]
Was fliegt so früh durch Nacht und Wind? Es sind die gelben Säcke, die nicht festgebunden sind. Das waren nicht exakt meine Gedanken, als ich heute morgen kurz nach 5 aufgewacht bin. Und trotzdem beschreiben sie den Sachverhalt ganz gut. Ich wachte auf und hörte Geräusche von draußen. An der Tür zum Balkon stehend sah ich, dass Pflanzen umgekippt waren und im Wind hin- und herrollten. Die gelben Säcke, die wir ein paar Meter weiter aufbewahren, hatten sich langsam, aber sicher über den Balkon verteilt. Es war quasi ein morgendliches Wiedersehen mit der Käseschachtel von letzter Woche, einem Joghurtbecher und einer leeren Spülmittelflasche.
Die Wetterseite bestätigte meinen Verdacht: Warnstufe Rot. Orkanartige Sturmböen. Dazu prasselnder Regen. Blitze zuckten über den Himmel. Großartig. Ein Sturmgewitter in nächtlicher Frühe.
Das hätte mich nicht weiter kümmern müssen. Jedoch musste ich eine knappe Stunde später zur Arbeit aufbrechen, und der Sturm sah nicht aus, als ob er bald aufhören würde.
Ein Schritt vor die Tür überzeugte mich davon, dass es eine recht schlechte Episode von „Dumme Dinge, die ich schon mal gemacht habe“ werden würde, wenn ich mit dem Fahrrad losführe. Äste fielen herunter, und ich wäre komplett durchnässt auf Arbeit angekommen, wenn ich überhaupt gegen den Sturm angekommen wäre.
Ich fing also an, die Alternativen zu durchdenken, was aufgrund der Uhrzeit ein sehr langsamer Prozess war. Das Beste wäre gewesen, wenn es mit Stürmen aufgehört hätte. Das war aber erst für ein paar Stunden später angekündigt.
Ich beschloss, einfach noch ein paar Minuten zu schlafen. Und irgendwie ging mir durch den Kopf, dass es ja nicht das erste Mal wäre, dass ein Sturm gestillt wird.
20 Minuten später sang mein Wecker los. Ich stand auf, ging zum Fenster… und der Sturm hatte aufgehört zu toben. [Der Wind legte sich und es ward eine große Stille.]
Ich drehte mich innerlich um, um zu schauen, ob Gott irgendwo mit einer versteckten Kamera wartete. Ernsthaft? Also, danke, aber… danke. [Wer ist nur dieser Mann, dass ihm sogar Wind und Wellen gehorchen?]
So hätte sich vielleicht die Stillung des Sturms damals angefühlt, wenn die Jünger nicht in Panik verfallen wären. Sie hätten geschlafen, weil sie gewusst hätten, dass Jesus sie nicht über Bord gehen lässt. Ich war den ganzen Morgen über fasziniert davon, wie sich mein Umplanen einfach so in Luft und Schlaf auflösen konnte. Dass sich jemand wieder mal in meinen Tag geschlichen hatte, noch bevor der überhaupt so richtig angefangen hatte.
Diese Faszination möchte ich weitertragen, bis Weihnachten, und darüber hinaus. Wir warten auf den, der den Sturm stillt. Auf den, der im Orkan schlafen kann. Auf die Ruhe im Sturm. Auf den, dem Wind und Wellen und Warnstufe Rot gehorchen. Ihn möchte ich immer wieder einladen, in meinen Stürmen ein Nickerchen zu machen, damit ich davon inspiriert werde.
Und das nächste Mal, wenn ich den Müll aus den letzten Wochen durch mein Leben fliegen sehe, schaffe ich es vielleicht, in großer Gelassenheit den Müll Müll und den Sturm Sturm sein zu lassen.
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