* Blumenpuste

Annakdoten aus dem Alltag

Archiv für das Schlagwort “Wetter”

Der den Sturm stillt [10]

DSCN9534
Was fliegt so früh durch Nacht und Wind? Es sind die gelben Säcke, die nicht festgebunden sind. Das waren nicht exakt meine Gedanken, als ich heute morgen kurz nach 5 aufgewacht bin. Und trotzdem beschreiben sie den Sachverhalt ganz gut. Ich wachte auf und hörte Geräusche von draußen. An der Tür zum Balkon stehend sah ich, dass Pflanzen umgekippt waren und im Wind hin- und herrollten. Die gelben Säcke, die wir ein paar Meter weiter aufbewahren, hatten sich langsam, aber sicher über den Balkon verteilt. Es war quasi ein morgendliches Wiedersehen mit der Käseschachtel von letzter Woche, einem Joghurtbecher und einer leeren Spülmittelflasche.

Die Wetterseite bestätigte meinen Verdacht: Warnstufe Rot. Orkanartige Sturmböen. Dazu prasselnder Regen. Blitze zuckten über den Himmel. Großartig. Ein Sturmgewitter in nächtlicher Frühe.

Das hätte mich nicht weiter kümmern müssen. Jedoch musste ich eine knappe Stunde später zur Arbeit aufbrechen, und der Sturm sah nicht aus, als ob er bald aufhören würde.

Ein Schritt vor die Tür überzeugte mich davon, dass es eine recht schlechte Episode von „Dumme Dinge, die ich schon mal gemacht habe“ werden würde, wenn ich mit dem Fahrrad losführe. Äste fielen herunter, und ich wäre komplett durchnässt auf Arbeit angekommen, wenn ich überhaupt gegen den Sturm angekommen wäre.

Ich fing also an, die Alternativen zu durchdenken, was aufgrund der Uhrzeit ein sehr langsamer Prozess war. Das Beste wäre gewesen, wenn es mit Stürmen aufgehört hätte. Das war aber erst für ein paar Stunden später angekündigt.
Ich beschloss, einfach noch ein paar Minuten zu schlafen. Und irgendwie ging mir durch den Kopf, dass es ja nicht das erste Mal wäre, dass ein Sturm gestillt wird.

20 Minuten später sang mein Wecker los. Ich stand auf, ging zum Fenster… und der Sturm hatte aufgehört zu toben. [Der Wind legte sich und es ward eine große Stille.]

Ich drehte mich innerlich um, um zu schauen, ob Gott irgendwo mit einer versteckten Kamera wartete. Ernsthaft? Also, danke, aber… danke. [Wer ist nur dieser Mann, dass ihm sogar Wind und Wellen gehorchen?]

So hätte sich vielleicht die Stillung des Sturms damals angefühlt, wenn die Jünger nicht in Panik verfallen wären. Sie hätten geschlafen, weil sie gewusst hätten, dass Jesus sie nicht über Bord gehen lässt. Ich war den ganzen Morgen über fasziniert davon, wie sich mein Umplanen einfach so in Luft und Schlaf auflösen konnte. Dass sich jemand wieder mal in meinen Tag geschlichen hatte, noch bevor der überhaupt so richtig angefangen hatte.

Diese Faszination möchte ich weitertragen, bis Weihnachten, und darüber hinaus. Wir warten auf den, der den Sturm stillt. Auf den, der im Orkan schlafen kann. Auf die Ruhe im Sturm. Auf den, dem Wind und Wellen und Warnstufe Rot gehorchen. Ihn möchte ich immer wieder einladen, in meinen Stürmen ein Nickerchen zu machen, damit ich davon inspiriert werde.

Und das nächste Mal, wenn ich den Müll aus den letzten Wochen durch mein Leben fliegen sehe, schaffe ich es vielleicht, in großer Gelassenheit den Müll Müll und den Sturm Sturm sein zu lassen.

———————–
Dieser Weihnachtscountdown ist der Nachfolger des Countdowns von 2015, mit großartig-amüsanten Einträgen, die hier nachzulesen sind.

Über den grauen Tagen

IMG_1924

Ich schaue über den Tellerrand
meines Frühstücks und stelle fest:
Es ist wieder einer dieser Tage.
Niesertage könnte man fast sagen.
Ein Huster hier, ein Schnupfer da,
und prustend fröhlich tröpfelt der Niesel vom Himmel.

Blau wird zu grau, und hell zu schnell dunkel.
Man munkelt zwischen hochgezogenen Schultern
und rosig-frostigen Nasenspitzen.
Wo gestern Menschen in der Sonne spielten,
lauern nun Schaudern und Wind.
Ich ziehe die Mütze über die Ohren,
damit ich die Kälte nicht höre,
und schlinge den Schal fester um mein Herz.
Bis dorthin soll das Frösteln nicht dringen.

Die Nebelschlingen heben meine Stimmung
nicht wirklich, nicht merklich, im Gegenteil.
Der Atem wird kälter, langsamer, schwerer.
Das Denken älter, trüber, leerer.
November hat mich blass gemacht.
Und wenn ich dich so sehe –
gräulich, gekrümmt und verweht,
demotiviert und bleich –
denke ich, es reicht.

Über die grauen Tage lässt sich lange reden.
Bewegen werden sie sich nicht,
diese sturen Wolkenbringer.
Nur einen Blick, einen Gedanken, will ich wagen:
In diesen Tagen nach oben zu schauen,
mich durch die Dunkelheit zu denken,
über die faden Stunden.

Dort, über den grauen Tagen,
tanzt das Leben in der Sonne,
Tango und November-Hop.
Über der Wolkenhülle
füllt Frohsinn die Schwere aus.
Dort, über den Dingen,
dort möchte ich stehen
und zusehen,
wie Nebelschwaden schwinden.

Es ist wieder einer dieser Tage.
Blass-kalt, fraglich-unbehaglich, mau.
Ein Tag, ganz wie mein Befinden.
Schau, ich geh darüber stehen,
mit Fahnenwehen und Rückenwind.
Komm doch mit.

Sonntagnachmittag

0065„Und damit sind wir am Ende unserer Fahrt angekommen.“ Ein Stocherkahn fährt an mir vorbei, während die Insassen zu applaudieren beginnen. Es ist Sonntagnachmittag und ich sitze am Ufer der Neckarinsel, dem perfekten Ort für einen mentalen Kurzurlaub. Wohin mein Auge auch blickt, sieht es Touristen. Touristen, die Selfies vor der berühmten Neckarfront schießen, Stocherkahn oder Tretboot fahren, Enten mit Eiswaffeln füttern oder darüber reden, was sie über Friedrich Hölderlin gehört haben. Strahlende Sonne und strahlende Gesichter sorgen für eine entspannte und sommerliche Athmosphäre. Als leise Vorboten des Herbsts segeln ein paar Blätter in sanften Kurven von den Bäumen herab und treiben auf dem Fluss davon.
 
Ein paar Stunden später, ein paar Meter weiter. Ein winziger Erdenbürger liegt in meinem Arm und starrt in den Raum hinein. Dort sitzen ein paar Leute aus meiner Gemeinde an einem riesigen Holztisch und unterhalten sich bei Kaffee und Kuchen. Als ich wieder nach unten schaue, schaut sie mir mit einem ernsthaften Blick direkt in die Augen. Kleine bis große Gedanken und Empfindungen werden ausgetauscht. Es ist ein gegenseitiges Sondieren aus nächster Nähe, ein vorsichtiges Erkunden des Gegenübers, ohne Scheu, in Unmittelbarkeit. Und plötzlich fängt sie an zu lächeln.
 
Als wir aufbrechen, tummeln sich am Himmel graue Wolkenberge. 0116Man kann dem Wetter im Urlaub schließlich nicht vertrauen. Nach hastigen Verabschiedungen treffe ich die beste Entscheidung des Tages und fahre mit dem Fahrrad los. Ich vergesse, dass ich keine Lucky-Luke-Qualitäten in Bezug auf das Fahrradfahren habe und nicht schneller fahren kann, als mein Schatten, geschweige denn der Schatten der Wolken. Ich weiß nichts von amtlichen Unwetterwarnungen, die von einem schwerem Gewitter mit schweren Sturmböen, heftigem Starkregen und Hagel sprechen, und von einem Aufenthalt im Freien abraten. Aber ignorantia iuris non excusat und ich lande mitten im Gewittersturm. Komplett durchnässt warte ich unter einer Brücke, aber da man nicht nasser als nass werden kann, drehe ich nach einer Weile in Richtung Bahnhof um. Regen peitscht mir ins Gesicht, sodass ich kaum noch sehen kann, wo mich die überfluteten Straßen theoretisch langführen sollten. Ich denke an Forrest Gump und die verschiedenen Arten von Regen, als mir Hagelkörner auf den Kopf prasseln. Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss.
 

0083Mein Kleid hängt wie ein Lappen an mir herunter, als ich gerade noch rechtzeitig den Bus erreiche. Der Busfahrer macht die Tür auf und fängt an zu lachen. „Warst du baden?“ So ähnlich. Ich setze mich auf den Boden und schaue auf der Fahrt zu, wie sich der Gang durch mich mit Pfützen füllt.

Ein Dozent im letzten Semester riet uns: „Geht raus und beobachtet die Welt! Die Geschichten liegen auf der Straße!“ Oder manchmal auch auf dem Boden eines Busses.

Beitragsnavigation